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Organisationsentwicklung

Wie lassen sich Organisationen wirksam irritieren?

Neues Denken und neue Werkzeuge
Dies ist Bild, dass für den Inhalt des Artikels "Einfach machen – ein kindlicher Ratschlag?" von Mark Poppenborg steht.
Mark Poppenborg
Einfach machen – ein kindlicher Ratschlag?
Die geheime Superkraft von Unternehmenskultur
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Lars Vollmer
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Change und Intervention - Hand nimmt ein Baustein weg und verändert dadurch das Bild.
Lars Vollmer
So solltest Du Change betreiben

Ich glaube, dass wir mit unserem alten Claim happy working people schon so manch einen Entscheider verloren haben. »Mit so einer realitätsfernen Sozialromantik setze ich mich doch erst gar nicht auseinander«, dürfte damals der eine oder andere gedacht haben, wenn er über unser Logo gestolpert ist. Auch deshalb haben wir uns irgendwann davon verabschiedet.

Es ist ja so: Mir geht es darum, dass Arbeit Sinn macht. Mir geht es darum, dass Menschen gerne zur Arbeit gehen, anstatt unter ihr zu leiden. Mir geht es darum, dass Arbeit einen Beitrag zur eigenen Selbstverwirklichung leisten darf.

Aber genau das erreichen wir paradox erscheinender Weise genau dann, wenn Betriebe zunächst dem Markt dienen und nicht den eigenen Mitarbeitern.

Nur wenn ein Unternehmen auf wirtschaftliche Weise Kundenbedürfnisse befriedigt, kann es überleben. So sind die Regeln der Wirtschaft.

Und immer dann, wenn Mitarbeiter gemeinsam Kundenbedürfnisse befriedigen können, ohne dabei ständig Steine in den Weg gelegt zu bekommen, erfahren sie ein Gefühl von Sinn und Beflügelung. Genau das sorgt für happy working people.

Happy working people ist ein Ergebnis, keine Ursache.

Es gibt also zwei hervorragende Gründe, sich um eine gut organisierte Wertschöpfung zu bemühen.

Erstens sorgt eine gut organisierte Wertschöpfung für wirtschaftlichen Erfolg.

Und zweitens sorgt eine gut organisierte Wertschöpfung für ein Gefühl von Wirkung und Zufriedenheit bei den Mitarbeitern.

Profit und happy working people stehen sich also nicht im Widerspruch. Im Gegenteil, Profit ist die Voraussetzung für happy working people.

Mit Profit meine ich natürlich kein kurzfristiges Maximierungskalkül. Gemeint ist der gesunde, langfristig orientierte Profit, den jeder gescheite Unternehmer sinnvollerweise anstrebt und auch anstreben muss.

Die wirtschaftliche Befriedigung von Kundenbedürfnissen macht stolz und beflügelt. Wer will schon in einem Unternehmen arbeiten, indem man versucht happy zu sein, ohne jemals Wirkung im Markt zu erzielen.

Dass dieses Szenario demotiviert, kann man hervorragend am Beispiel vieler Startups sehen, die keine Kunden gewinnen. Zufriedenheit der Mitarbeiter? Fehlanzeige! Wohlgemerkt trotz der tollen Büros, flexibler Arbeitszeiten, beneidenswerter Kapitalausstattung und flachen Hierarchien.

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Jede wirksame Organisationsverbesserung setzt bei der Wertschöpfung an

Warum diese Vorrede? Es ist eigentlich ganz einfach: Wenn Du beabsichtigst, eine bewusste Veränderung im Unternehmen vorzunehmen, dann sollte diese grundsätzlich bei der Wertschöpfung ansetzen.

Sollte eine Veränderung nicht bei der Wertschöpfung ansetzen, z.B. weil es um eine Streitschlichtung zwischen zwei Mitarbeitern geht, dann solltest Du mindestens sicherstellen, dass der Streit keinen konstruktiven Beitrag zur Wertschöpfung leistet. Letzteres ist nämlich keine Seltenheit.

Wenn Du hier unaufmerksam bist, könntest Du durch einen therapeutisch motivierten Eingriff einen empfindlichen Teil der Wertschöpfung stören und damit zur Leistungsminderung beitragen. Langfristig ist damit mehr Streit vorprogrammiert, nicht weniger.

Alleine schon deshalb ist kulturelle Harmonie, für sich selbst genommen, kein erstrebenswertes Ziel in einem Unternehmen.

Gute Absicht heißt noch lange nicht positive und schlechte Absicht noch lange nicht negative Wirkung.

Eine gute Möglichkeit herauszufinden, ob ein Streit möglicherweise seine Ursache im System und nicht bei den Mitarbeitern hat, ist folgende Testfrage: Würden sich zwei andere Menschen in der gleichen Rolle wohl möglich auch streiten? Oder anders: Streiten sich da wohl möglich der Einkaufsleiter und der Vertriebsleiter und nicht Herr Meier und Herr Schulze?

Streit ist natürlich nur ein Beispiel. Darauf alleine baue ich meine Argumentation nicht auf.

Die Logik greift genauso bei fehlendem Teamspirit. Auch hier gilt: Nicht Teamspirit reparieren (er ist ja nicht kaputt), sondern auf die Suche nach Problemen in der Wertschöpfung gehen.

Was heißt „bei der Wertschöpfung ansetzen“?

Das ist eigentlich ganz einfach. Lars hat das in seinem Buch Zurück an die Arbeit schön dargestellt. Wenn Arbeit das ist, was den Wert Eures Produktes oder Eurer Dienstleistung erhöht, dann ist alles andere nur Beschäftigung.

Du kannst 8 Stunden im Büro sitzen, davon aber nur 5% der Zeit arbeiten und 95% der Zeit beschäftigt sein. Zum Beispiel damit, einen Bericht zu füllen. Wenn der Kunden für den Bericht kein Geld bezahlt, ist es Beschäftigung, keine Arbeit.

Eine Veränderung ist also nur dann auch eine Verbesserung, wenn sie dazu führt, dass Du mehr Zeit für Arbeit hast und weniger Zeit mit Beschäftigung verbringst.

Arbeit befriedigt, Beschäftigung frustriert. Auf Dauer jedenfalls. Happy working people gibt es nur in Betrieben, in denen im Durchschnitt viel Arbeit und wenig Beschäftigung stattfindet. Und natürlich sind diese Unternehmen langfristig erfolgreicher.

Verbesserung durch Weglassen

Wenn zu viel Beschäftigung die Wirtschaftlichkeit mindert, dann liegt der Schlüssel zu mehr Wirtschaftlichkeit also im Weglassen von Beschäftigung. Dazu müssen wir verstehen, was die Beschäftigung auslöst, was also Arbeit verhindert.

Es hat sich ja niemand gewünscht, dass die Mitarbeiter beschäftigt sind, anstatt zu arbeiten. Das kommt vielmehr daher, dass in den meisten traditionell geführten Unternehmen eine schier unendliche Zahl von kleineren und größeren Praktiken betrieben werden, die aus der Zeit gekommen sind oder noch nie ihre Zeit hatten.

Die Rede ist von Praktiken, die Unternehmen als deterministisch steuerbare Maschinen behandeln, die aus Zahnrädern und Riemen bestehen. Im ersten Teil des Artikels bin ich bereits intensiv auf diesen Denkfehler eingegangen und woher er stammt. Praktiken für Maschinen waren im 20. Jahrhundert super, im 21. Jahrhundert führen sie häufig nur zu Beschäftigung und nicht zu Arbeit.

Einen der größten Beiträge zum Erfolg von Unternehmen und der happiness der Mitarbeiter leistet also die konsequente Suche nach den vielen Praktiken, die Beschäftigung fördern und Arbeit erschweren.

Da ich gelernt habe, dass nicht jeder etwas mit dem Begriff Praktiken anfangen kann, hier noch ein paar Alternativ-Begriffe: Rituale, Verfahren, Strukturelemente, Richtlinien, Vorgaben, Prozesse – also im Prinzip alles, was mit ausreichend viel Macht geändert werden kann. Die Systemtheorie spricht von entscheidbaren Entscheidungsprämissen.

Die meisten dieser Praktiken haben eins gemein: Sie sind heiße Eisen. Man fasst sie nur ungerne an. »Wie jetzt? Kostenstellen hinterfragen? Wer käme denn auf die Idee? Gab es schon mal eine Welt ohne?« 

Wir haben ein ganzes Spiel entwickelt, das Dich bei dem Praktikenputz unterstützen soll. Die folgende Liste aus diesem Spiel Play Change listet einige dieser Praktiken auf.

Praktikenliste des Play Change Spiels

Du siehst schon, die Liste ist lang. Und sie ist ganz sicher nicht vollständig. Und natürlich erfüllen manche der Praktiken auch heute noch ihren Zweck. Bloß muss man genau gucken, viele kommen ganz unscheinbar daher und entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als echte Beschäftigungstherapien.

Lars und ich versuchen deshalb in unserem Podcast nach und nach die Praktikenliste durchzugehen und eine Praktik nach der anderen zu dekonstruieren.

Mein Rat: Richtet Euch in Eurem Management-Meeting bzw. einem passenden Forum ein neues Ritual ein: den Praktiken-Putz. Und dann nehmt Ihr Euch auf regelmäßiger Basis 30-45 Minuten Zeit, in denen Ihr Euch eine oder mehrere Praktiken vornehmt und folgende Fragen durcharbeitet:

  1. Haben wir diese Praktik und wie genau betreiben wir sie?
  2. Welche Überzeugung liegt dieser Praktik zugrunde? Warum haben wir sie einmal eingeführt?
  3. Fördert sie Beschäftigung oder Arbeit? Wie genau?
  4. Wenn wir diese Praktik abschaffen, brauchen wir dann einen Ersatz und wenn ja, welchen?
  5. Wie könnten wir eine Veränderung risikoarm ausprobieren?
  6. Wer könnte Lust haben, daran freiwillig mitzuarbeiten?

Zwischen der Umsetzung einer Veränderung beobachtet Ihr die Auswirkungen. Manchmal muss man länger hinsehen, um eine positive Wirkung zu beobachten. Und manchmal war die Hypothese vielleicht auch falsch und man muss noch mal nachlegen. Es bleibt dabei: die Veränderung läuft nicht deterministisch ab.

Veränderung durch die kräftige Entscheidung

Die kräftige Entscheidung ist eine Formulierung, die ich in diesem Zusammenhang das erste Mal von meinem Mitgründer Lars gehört habe. Ich werde ihn mal fragen müssen, woher er sie hat. Jedenfalls hatte ich mit ihr endlich einen Begriff für etwas, das ich sonst immer mit überfälliger Trivialentschluss oder verschleppte Praxisüberführung unbequem umschrieben hatte.

Die Idee ist relativ schnörkellos. Es gibt Praktiken, die sind sowohl theoretisch als auch empirisch sowas von durchgenudelt, dass ihr widerspenstiges Verharren im betrieblichen Alltag schon einer Sensation gleicht.

Zu diesen Praktiken gehört zum Beispiel die leistungsabhängige Vergütung. Außer den mit ihrer Abschaffung verbundenen Übergangsschmerzen gibt es keinen einzigen guten Grund, keine valide Studie und keine theoretische Grundlage, sie im betrieblichen Alltag aufrechtzuerhalten*.

Für solche Praktiken, bei denen kein Zweifel an ihrer destruktiven Wirkung besteht, geht es nicht mehr um die Frage ob sondern nur wie man sie abschafft.

Was es dann braucht ist eine kräftige Entscheidung durch den Top-Entscheider im Unternehmen. Bosch ist ein schönes Beispiel für die Durchsetzung einer kräftigen Entscheidung. Das Unternehmen hat Anfang 2016 den individuellen Leistungsbestandteil der Boni gestrichen.

Natürlich gibt es nach so einem Eingriff ein paar Nachbeben. Ja, auch die Kultur mag vorübergehend einige unvorhergesehene Überraschungen präsentieren. Aber langfristig besteht an dem Nutzen einer solchen Veränderung kein Zweifel. Und er wird die Beschäftigung reduzieren und damit die Arbeit erhöhen.

An dem Beispiel der leistungsabhängigen Vergütung kann man das auch wunderbar verdeutlichen.

Sie beschäftigt Mitarbeiter in der Personalabteilung mit der Verwaltung, im Finanzbereich mit der Buchhaltung, sie beschäftigt Führungskräfte mit der unbequemen Aushandlung und im Zweifel beschwichtigenden und taktischen Gesprächsführung bei der Zielfestlegung und -verfolgung, sie beschäftigt Mitarbeiter mit dem gleichen Ritual auf der anderen Seite und sie beschäftigt natürlich bei der Zielerreichung auch wenn das Ziel längst obsolet ist und so weiter und so weiter.

Andere Beispiele, bei denen wenig gegen eine kräftige Entscheidung zur Abschaffung der Praktik spricht:

  • Umsatzziele
  • Forced Ranking
  • Individuelle Zielvereinbarungen
  • Werteentwicklungsprogramme
  • Reisekostenrichtlinie

Natürlich ist auch hier die Gefahr, dass Du unter diesen Begriffen nicht dasselbe verstehst wie ich. Darüber müssten wir uns dann gesondert austauschen.

Veränderung durch Legitimation der informellen Hierarchie

Diese Form des bewussten Eingriffs ist anspruchsvoller und erklärungsbedürftiger.

Im ersten Teil dieses Artikels hatte ich über das agile Arbeiten unter dem Radar geschrieben.

Es entsteht immer, wenn ein Unternehmen mit den vielen Alltagsüberraschungen in der Wertschöpfung umgehen muss und die formale Struktur dazu im Widerspruch steht.

Ein konkretes Beispiel: Eine neue Simulations-Software, die von einigen Kollegen entdeckt wurde, hat großes Potential und verspricht, einige Montagevorgänge in einem mittelständischen Produktionsunternehmen deutlich besser vorbereiten zu können. Davon erhoffen sich die Kollegen einen starken Rückgang in den Nacharbeiten und unvorhersehbaren Verzögerungen, was wiederum den Taktausgleich und die Kapazitätsauslastung verlässlicher machen sollte.

Das Dumme ist: keiner kann es nachweisen. Es fehlen die harten Fakten. Könnten die Kollegen selbst über den Kauf der Software entscheiden, wäre die Sache klar. Die formale Struktur entzieht der Wertschöpfung allerdings zugunsten eines Freigabeverfahrens das unternehmerische Entscheidungskalkül.

Stattdessen fördert es Beschäftigung. Stundenlang ziehen sich die Kollegen Kennzahlen aus den Haaren, kreieren Funny-Money, biegen Argumentationen zurecht und führen taktische Vorgespräche mit anderen Führungskräften, um ihre Chancen auf eine Freigabe zu erhöhen.

Schließlich wird der Antrag abgelehnt. Zu teuer. Zu wenig Nutzen.

Die Kollegen sind aber so überzeugt von der Lösung, dass sie mit vergleichbarer Freeware selbst einige Simulationen durchführen. Mit überragendem Erfolg. An der formalen Struktur vorbei, entwickelt sich eine tabuisierte Wertschöpfungsstruktur, von der Mitarbeiter der Montage, der Arbeitsvorbereitung und eines Prozessverbesserungsteams Gebrauch machen.

Eine der Geschäftsführerinnen erfährt am Rande von der neuen „Parallelwelt“. Sie erkennt den Nutzen, ist sich aber auch sofort der Sensibilität bewusst, die hier gefordert ist.

»…ist gut, ist gut. Ich will gar nicht mehr hören. Macht Ihr mal. Lass mich da lieber raus.« Ihr ist klar: Darüber kann öffentlich nicht geredet werden.

Das Unternehmen profitiert erheblich von den Vorteilen dieser tabuisierten Wertschöpfungsstruktur. Doch das Problem ist, dass die Tabuisierung gleichzeitig ein hohes Maß an Beschäftigung unterhält. Denn das Theater zur Befriedigung der formalen Struktur ist natürlich nichts anderes: als Theater. Beschäftigung. Jedenfalls keine Arbeit.

Ein wirksamer Eingriff in ein Unternehmen kann also nun in der Legitimation dieser Parallelstruktur bestehen. Mit den nötigen Kenntnissen über moderne Wertschöpfung ausgestattet, könnte ein Mächtiger im Unternehmen die Ausnahme von der Regel als legitime Notwendigkeit beschützen.

In dem von mir hier präsentierten Beispiel würde das sicher auch mit einer Übertragung der Verantwortung für den Software-Kauf einhergehen, damit die Mitarbeiter selbst eine sinnvolle Investitionsentscheidung treffen können anstatt für den Investitionsantrag taktieren zu müssen.

In Unternehmen, die einen erheblichen Anteil von Überraschungen ertragen müssen, gibt es überall solche informellen Strukturen, die Wertschöpfung sicherstellen. Und damit gibt es viel Potential, Beschäftigung zu verringern.

Denn mit jeder legitimierten Ausnahme erübrigt sich der Zwang auf die informelle Struktur ausweichen zu müssen und damit das Maß der Beschäftigung. Und damit bleibt wieder mehr Zeit für Arbeit.

Das Ganze hat einen weiteren Vorteil: Man verringert die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter sich am Rande der Illegalität bewegen müssen.

Stelle Dir eine informelle Wertschöpfungsstruktur vor, die durch die Nutzung von Schatten-IT gefährlich nahe an der Gesetzesgrenze entlangschrapt, diese vielleicht sogar gelegentlich überschreitet. Ganz im Interesse der Wertschöpfung wohlgemerkt.

Sie würde auch gerne überprüfen, ob sie gegen Gesetze verstößt. Doch um das heraus zu finden, müsste sie ja mit dem Datenschutzbeauftragten oder einem informierten Vorgesetzten sprechen. Es müsste also ein offizieller Weg auf der formalen Struktur bemüht werden.

Und genau das geht ja nicht. Denn dann würde die informelle Wertschöpfungsstruktur ihre ohnehin schon instabile Tarnung gefährden.

Also mausert man weiter, bis das gut gemeinte Engagement der Mitarbeiter irgendwann tatsächlich zu einem Gesetzesbruch führt, der auffliegt. Persönliche Daten von Kunden sind gesetzeswidrig behandelt worden.

Jetzt springt die Compliance Abteilung ein und sorgt für die entsprechenden Folgen. Abmahnung. Presseerklärung. PR-Maßnahme. Man gelobt Besserung. Weiter geht’s.

Wäre die Ausnahme jedoch legitimiert worden oder hätte man die Wertschöpfung gleich von Anfang an nur dort gesteuert, wo Steuerung Sinn macht – nämlich bei der Wertschöpfung der Norm – dann hätten die Mitarbeiter sich ganz offiziell Rat beim Datenschutzbeauftragen holen können.

Damit wäre erst gar kein Gesetzesbruch aufgetreten und die Compliance Management Abteilung könnte abgebaut anstatt weiter aufgestockt werden. Und unter uns: Dass ein Compliance Manager nicht arbeitet sondern nur beschäftigt ist, muss ich sicher nicht mehr erläutern.

Das tolle bei dieser Art der Veränderung: Die Lösung ist ja schon da. Es braucht keine geniale Idee mehr. Keine Konzepte. Keinen Berater. Keine Roadmap. Das Management muss einzig und alleine das Tabu brechen und vor der Übergriffigkeit der Organisation schützen indem sie sagt: »Was hier passiert ist gut so. Auch wenn es eine Abweichung zur Norm darstellt.« Noch präziser: Gerade weil es eine Abweichung der Norm darstellt.

Veränderung durch Experimente

Und schließlich das Experiment. Damit ist kein Pilot gemeint. Hier wird kein Leuchtturm gebaut der dann ausgerollt wird.

Ganz im Gegenteil: Ein Organisationsexperiment, wir nennen es meist Schutzraumprojekt, ist wie die Legitimation der informellen Wertschöpfungsstruktur, bloß dass noch keiner weiß, ob die Lösung funktionieren wird. Schlimmer noch: Man kennt die Lösung zu großen Teilen noch gar nicht.

Ein Organisationsexperiment ist also angebracht, wenn man für einen Teil der Wertschöpfung die Hypothese überprüfen will, ob es eine bessere Organisation geben könnte, die mit weniger Beschäftigung und damit mehr Arbeit auskommt.

Am Anfang eines solchen Experiments sollte immer eine solide Problembeschreibung stehen. Diese gehört zu den wenigen Dingen, die von Innen heraus nur schwer vollzogen werden kann. Denn dafür ist der eigene blinde Fleck einer Organisation einfach zu groß.

Wenn das Problem beschrieben wurde und für Interesse gesorgt hat, geht es los. Auch hier muss ein Manager mit Macht das Experiment legitimieren. Auch hier braucht es freiwillige Heißsporne, die sich von der Idee provoziert fühlen. Auch hier wird die Umgebung, also andere Bereiche im Unternehmen, sich von der Ausnahme irritiert fühlen und darauf mit Gegenwehr reagieren.

Genau deshalb braucht es ja einen stabilen Schutzraum durch einen Machtpromotor im Unternehmen. Nur dann wird man sich darauf verlassen, die bisherige Steuerung zugunsten des Experiments ignorieren zu können.

Jegliche Praktiken, die bisher zum Alltag gehört haben, werden im Experiment ausgesetzt. Keine formale Hierarchie, keine Vorgaben, keine Richtlinien, keine Prozessanweisungen, keine Regeln. Der glasklare Auftrag lautet: »Löst das gemeinsam erkannte Problem. Wie, bleibt Euch überlassen.«

Ein Organisationsexperiment ist zeitlich begrenzt und wird deutlich als solches markiert. »Ihr könnt Eure alte Welt wieder zurück haben«, sage ich deshalb immer gerne.

Wenn sich dann für die konkrete Situation, mit den konkreten Mitarbeitern, für diese konkrete Wertschöpfung eine Leistungssteigerung beobachten lässt, dann ist folgendes bewiesen: Für die konkrete Situation, mit den konkreten Mitarbeitern, für diese konkrete Wertschöpfung ist mit der konkreten Organisationsänderung eine Leistungssteigerung möglich. Mehr nicht.

Wer daraus eine Blaupause für die ganze Organisation macht, der ignoriert die Kontingenz komplexer Systeme. Kontingenz heißt: Es kann immer auch anders kommen. Wie beim Fußball, wo unter exakt den gleichen Anfangsbedingungen ein anderes Ergebnis herauskommt.

Deshalb folgt auf ein gelungenes Experiment wohl möglich gleich das nächste. Oder man nutzt die Gelegenheit für den einen oder anderen Praktikenputz.

Ob ein Experiment erfolgreich war oder nicht stellt man übrigens am besten anhand des Flurfunks fest. Auf die vermeintlich objektive Management Summary kann man da nur wenig geben.

Ein weiterer guter Indikator für Erfolg ist der Wunsch der an dem Experiment beteiligten Mitarbeiter, genauso weiter machen zu wollen. »Nehmt uns das bloß nicht wieder weg. Jetzt ist doch alles viel besser«.

Wer einmal erlebt hat, wie es sich ohne die lästige Beschäftigung arbeiten lässt, der will natürlich nie wieder zurück. Endlich kann man den Kundenbedürfnissen auf direkterem Wege nachkommen. Das Gefühl von Wirksamkeit steigt. Das Unternehmen erhöht seine Wirtschaftlichkeit. Die Kunden sind zufriedener. Ein gelungenes Experiment fühlt sich ganz ganz anders an, als das was man bisher ertragen musste.

Die erfolgreichen Organisationsexperimente die ich begleiten durfte, haben eine andere Kultur hervorgebracht. Plötzlich herrscht eine Leistungskultur, in der man sich gegenseitig unterstützt, aufhilft, tröstet und Vertrauen schenkt.

Daran sieht man mal wieder, wie die Kultur nachzieht, nicht vorangeht. Das wird leider oft verwechselt.

Mir sind einige solcher zum Teil unbewusst eingerichteter Experimente begegnet, in denen sich durch den Erfolg auch eine neue Kultur entwickelt hat. Eine Parallelkultur wohlgemerkt, die also mit der „alten“ koexistiert.

Die Mitarbeiter in diesem Experiment waren ganz beseelt von ihrer Kultur und wollten nun ihr Umfeld mit der gleichen Erfahrung beglücken. »Bei uns herrscht eine Mitmachkultur. Wir kooperieren hier ganz anders als in dem Rest des Unternehmens. Ihr müsst Euch das mal anschauen. Das müsstet Ihr auch machen. Das ist einfach so viel besser und erfolgreicher.«

Hier wird wieder Ursache und Wirkung verwechselt. Die Kultur kann man sich nicht abgucken. Sie ist das Ergebnis der neuen Organisation. Einer Organisation, die Beschäftigung vermeidet und Arbeit fördert.

Da aber niemand die Kultur hergestellt hat, kann man sie auch nicht exportieren. Das ist wie bei den hippen Labs in Berlin. Die Mitarbeiter dort mögen auch ganz beseelt sein. Aber auf den Mutterkonzern reibt das deshalb noch lange nicht ab.

Experimente sind also eine Überlistungsstrategie. Sie helfen dabei, den Übergriff der herrschenden Kultur abzuwehren. So lassen sich Hypothesen überprüfen.

Wenn dann erstmal festgestellt wurde, dass ein und dasselbe Kundenproblem auch auf eine ganz andere Weise erfolgreich gelöst werden kann, hat man die Kultur hinters Licht geführt. Denn ihr Abwehrmechanismus beruht ja gerade auf der Annahme, dass das Überleben nur mit der Fortsetzung der bisherigen Organisationsmuster vereinbar ist.

Fazit

Change ist immer im Gange. Change macht man nicht. Die bewussten Eingriffe des Managements oder der Berater sind für die Organisation von den sonstigen Irritationen nicht wirklich unterscheidbar. Sie ist ohnehin ständig von ihrer Umwelt irritiert. Ständig passt sie sich leicht an. Als hätte sie eine Unwucht.

Jeglicher bewusster Eingriff muss also ausreichend Anschluss an die bisherigen Muster der Organisation finden. Du kannst Dir das ein bisschen so vorstellen wie eine Schaukel auf dem Spielplatz, die Du versuchst zu beschleunigen oder zu bremsen.

Zunächst musst Du Dich der Schaukelfrequenz angleichen, um dann aus der Bewegung heraus langsam Fahrt aufzunehmen oder abzubremsen. Wenn Du Dich einfach nur taktlos auf die Schaukel schmeißt, gibt es nichts als blaue Flecken und kaputte Schaukeln, je nachdem wer stabiler ist.

Die aufgelisteten Eingriffsmöglichkeiten sind vier sehr wirksame Instrumente aus dem Werkzeugkoffer moderner Organisationsentwicklung. Sie tragen der Komplexität und der Marktentwicklung Rechnung anstatt an den konventionellen Machbarkeitsillusionen festzuhalten.

 

*Einzige Ausnahme: Sie wird für eine reine Routinetätigkeit eingesetzt, mit 100% Wiederholcharakter und ohne die Notwendigkeit, sich mit einer Idee einbringen zu müssen.

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11 Kommentare
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„Und zweitens sorgt eine gut organisierte Wertschöpfung für ein Gefühl von Wirkung und Zufriedenheit bei den Mitarbeitern.“

Die These halte ich für diskutabel. Nur weil die Wertschöpfung in einem Unternehmen optimal funktioniert, heißt das nicht, dass dadurch (automatisch) auch Zufriedenheit bei den Mitarbeitern besteht. Die Fließbandarbeit in Autofabriken ist auch höchst wertschöpfend, aber das heißt noch lange nicht, dass die Fließbandarbeiter alle zufrieden sind, oder? Nach der These müsste ja KVP die Lösung allen Übels für Mitarbeiterzufriedenheit sein.

Um Arbeit zu etwas (wirklich) Erfüllendem zu machen, braucht es vor allem „Sinn“ im Unternehmensziel selbst! Was meiner Meinung nach auch deutlich mehr ist, als das simple „befriedigen von Kundenbedürfnissen“. Die Outdoorfirma Patagonia, die 10 Prozent Ihres Umsatzes an Umweltorganisationen spendet oder der Schuhhersteller TOMS, der für jedes gekaufte Paar Schuhe, ein paar Schuhe an Kinder verschenkt. Okay, das sind jetzt extreme Beispiele, aber diese Firmen haben „Sinn“.

Gute Unternehmensergebnisse sind sicherlich wichtig und müssen da sein. Gewinnmaximierung ist aber nicht das Unternehmensziel, sondern das ERGEBNIS.

Meine 2 cent zu dem Thema

Hallo Mark, danke dafür. Praxisnah und inspirierend. Der Begriff Wertschöpfung ist mir in deiner Definition noch nicht ganz klar. Ich setze ihn nicht mit Wirtschaftlichkeit gleich. Es gibt andere wertschöpfende Faktoren, die auch indirekt nicht zwingend was mit Profit zu tun haben müssen. Zum Beispiel persönliche Erkenntnis und Wachstum. „Ein feine Balance halten du musst“, würde Meister Yoda sagen 😉

Da würde ich Dir widersprechen. 1. Kenne ich viele Unternehmen, die Geld Spenden oder moralisch positiv konnotierte Dinge tun und in denen die Mitarbeiter genau so leiden wir in allen anderen auch oft sogar noch mehr, weil dann im Namen der guten Sache noch mehr Selbstausbeutung erwartet wird (siehe soziale Berufe, Kliniken etc.) und 2. ist Sinn etwas sehr Subjektives. Ob ein Unternehmen einen Arbeitsplatz bieten kann, der Sinn verspricht, schätzt der Mitarbeiter bei der Einstellung ein. Und den Sinn, also seinen Sinn, will er auch weiterhin verfolgen. Bloß wenn er nicht dazu kommt vor lauter Bürokratie, dann ist er frustriert. Das Unternehmen muss sich nicht um den Sinn ihrer Mitarbeiter kümmern, das hielte ich für übergriffig. Es muss nur Arbeit zulassen. Davon profitieren dann beide. Dass Fließband-Arbeit nicht jeden vom Hocker reißt ist eh klar. Aber da greift ja auch noch eher der Deal des frühen 20. Jahrhunderts: „Du tust für 8 Stunden was Dir gesagt wird und dann kannst Du die wohl verdiente Freizeit genießen.“

Danke Marcel. Ich definiere Wertschöpfung als das was erst durch das Unternehmen erzeugt wird und im Markt auf eine Gegenleistung (Zahlung) trifft. Eine zur verkäuflichen Innovation werdende Idee ist also auch Wertschöpfung. Persönliches Wachstum kann das auch sein, wenn damit gleichzeitig Wert erzeugt wird. Ohne den Wert ist es aber „nur“ eine individuelle Bereicherung, auf die alleine ein Unternehmen seine Zukunft nicht bauen könnte. Ich hoffe, das ist nicht missverständlich. Ich finde es großartig, wenn Menschen bei der Arbeit persönlich wachsen.

[…] week Mark Poppenborg published his second blog post about change. The first part of this series talked about misconceptions of change. The second article introduces […]

[…] Jedenfalls ist dieser Artikel mein Beitrag zur Blogparade, die im intrinsify.me Blog im Artikel Organisationsentwicklung: Wie lassen sich Organisationen wirksam irritieren? von Mark Poppenborg ausgerufen wurde. Dessen erster Teil Change Management: Wie man ein […]

Sehr guter Artikel! Eure Artikel berichten genau das, was wir aktuell durchleben und dabei inspiriert ihr uns erheblich.

Warum würdest du sagen, schaden diese Dinge?
– Umsatzziele
– Reisekostenrichtlinie

Umsatzziele: Weil Umsatz alleine keine wertvolle Referenz ist. Und wenn ich ihn als Ziel ausrufe, dann gefährde ich die Rücksichtnahme auf die Wirtschaftlichkeit. Bestes Beispiel: Vertriebler der den KUnden bittet aus Umsatzzielgründen noch dieses Jahr zu bestellen, dafür aber einen Rabatt gibt.
Reisekostenrichtlinie: Richtlinie ist natürlich ein dehnbarer Begriff. Meist sind es jedoch Regeln. Und Regeln taugen nur für Probleme, die keinen komplexen Anteil beinhalten. Das ist bei Reisen nicht der Fall. Bsp: Das Hotel am Bhf ist zwar teuerer aber ich rechne mit Stau am Vormittag des nächstesn Tages und muss pünktlich bei einem Termin sein. Deshalb reise ich per Zug. Die Richtlinie sagt aber keine Hotels über 100 Euro und zwingt mich damit zu einer schlechteren Lösung. Das wiederum fördert Zynismus.

[…] Mehr dazu auch im Artikel „Organisationsentwicklung: Wie lassen sich Organisationen wirksam irritieren?“ Von Mark Poppenborg, intrinsify.de. […]

[…] starten sogleich mit einem Artikel über Organisationsentwicklung: Wie lassen sich Organisationen wirksam irritieren? Schon im Titel verrät @Mark Poppenborg, dass […]

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